Von Ochsen und Menschen

Die Oststeiermark steht für Schinken, Schafkäse und Apfelbaumplantagen bis zum Horizont. Tibetische Grunzochsen muss man hier schon finden wollen. Züchten auch. So wie Robert Maichin, der im Weizer Bergland seit drei Jahren Yaks auf seine Wiesen treibt. Ausflug zu einem bodenständigen Exzentriker der Lebensmittelproduktion.

Es riecht nach Lehm und Stall und Schnee in der Hofeinfahrt, wo Robert Maichin steht, in gelber Arbeitsjacke und Jeans, und sich den beißenden Nordwind aus den Handflächen reibt. Ein Frühling, der etwas auf sich hält, hier oben auf 645 Meter Höhe, lässt sich bitten. »Nicht ganz so super Wetter heute, zumindest nicht für uns«, sagt Maichin zur Begrüßung. Ein großer, freundlicher Mann mit wachen Augen und rauen Händen, die nach Arbeit aussehen und sich nach Arbeit anfühlen. »Aber für die Tiere sind das heute quasi Traumverhältnisse.«

Die Tiere, von denen Maichin spricht, haben sich unter dem Vordach im Hof zusammengedrängt und beäugen uns reglos. »Yaks sind schreckhafter als normale Hausrinder«, sagt Maichin und füllt die an den Gatterpaneelen befestigten Futterboxen an. »Komm her, Puppi, na komm«, schnurrt er, und in seiner Stimme liegt etwas Vorsichtiges, fast Zärtliches. Es dauert, bis die ersten Kühe sich in Bewegung setzen und zu fressen beginnen. Behutsam tätschelt Maichin die Stirn seines Zuchtstieres Manjushri, der sein riesenhaftes Maul im Futtereimer versenkt, den Blick auf uns gerichtet.

Ein Yak kuschelt nicht. Und wem an der eigenen Existenz gelegen ist, der bekuschelt es auch nicht.

Nebenbei Neuland
Existenzfragen trieben Robert Maichin auch um, als er vor ein paar Jahren beschloss, den elterlichen Hof nordöstlich von Weiz gemeinsam mit seinem Vater zu führen. Mit der Idee aber, eine konventionelle Vollerwerbslandwirtschaft zu betreiben, konnte er sich nicht anfreunden. »Und Yaks haben mich schon immer fasziniert. Es sind einzigartige, ungewöhnliche Tiere. Ich wollte nicht das machen, was die anderen machen.«
Die anderen haben natürlich ein wenig den Kopf geschüttelt, als Maichin 2012 seine ersten drei Yakkühe und Manjushri von einem befreundeten Züchter von der steirischen Hebalm holte und daheim vom Hänger lud. Wenn einer hier einen Hof erbt, dann schafft er sich Rinder an, Schweine, Schafe. Oder verkauft und geht ans Fließband in die Fabrik. Im nahen Weiz steht ein Magna-Werk. »Da war ich auch einmal, drei Jahre lang«, sagt Robert Maichin und schüttelt lächelnd den Kopf. »Aber das war nichts für mich.« Seit ein paar Jahren arbeitet der Nebenerwerbsyakzüchter im Brotberuf jetzt bei dem steirischen Spezialitätenproduzenten Steirerkraft im nahen Wollsdorf, meist in der Wechselschicht. »Es ist eine gute Arbeit dort«, sagt er. »Nette Leute, tolle Produkte. Aber das Erste, was ich mach, wenn ich fertig bin dort, ist auf den Hof fahren zu meinen Tieren.«

Alleine von der Yakzucht leben könnte Maichin, wie die meisten – besser gesagt die wenigen – Kollegen im österreichischen Yakhalterverband, nicht. Obwohl seine Herde seit 2012 von ursprünglich vier auf mittlerweile 13 Stück angewachsen ist und obwohl die Spitzengastronomie zusehends Interesse an dem tiefroten, feinfaserigen und kaum marmorierten Fleisch bekundet, das geschmacklich zwischen Rind und Wild angesiedelt ist. Aber sein Betrieb sei noch ein wenig zu klein, sagt Maichin, und Geduld müsse man eben auch ein bisschen aufbringen, wenn man in den Genuss von Yakfleisch kommen will.

Robustes Slow Food
Während ein Rind zwischen 16 und 22 Monaten Schlachtreife erreicht, muss Robert Maichin seine Stiere – es werden nur die männlichen Tiere für die Fleischproduktion genutzt – drei bis vier Jahre lang auf der Weide halten, bis er sie auf den Hänger laden und nach Eggersdorf zum Schlachter fahren kann. Das Zerlegen übernimmt er selbst, er hat Fleischhauer gelernt. »Aber das war dann irgendwann nichts mehr für mich«, sagt Maichin. »Man vergisst ja auch irgendwie, was ein Leben wert ist.«

Was ist ein Yakleben wert, Herr Maichin?

Ein Nordwind, der etwas auf sich hält, kann manchmal sehr laut schweigen.

»Du meinst, was das Fleisch wert ist?«, fragt Maichin nach einer kurzen Pause, und sein Blick wandert zu Jungyakstier Nick, der – alle viere in der Höhe – mit Manjushri rangelt. »Das Kilo verkauf ich aktuell zwischen 17 und 60 Euro, je nach Qualität. Aber nur an Verwandte und Bekannte«, sagt er leise. »Aber weißt: Was ist ein Kilogramm Fleisch schon im Gegensatz zu dem Anblick, wenn die Herde über die Wiese läuft oder eine Kuh ihr neugeborenes Kalb ableckt oder die Stiere miteinander raufen? Das ist Leben. In Geld ist das nicht aufzuwiegen.«

Etwa 150 Kilogramm Fleisch hat der erste Stier, den Maichin im Herbst letztes Jahr geschlachtet hat, hergegeben. »Das ist nicht so viel, wenn du das mit einem normalen Rind vergleichst«, sagt er, während die tibetanischen Gebetsfahnen fröhlich über unseren Köpfen tanzen. Der Fleischertrag eines Yaks liegt bei etwa 35 Prozent, gut 20 Prozent weniger als bei einem normalen Zuchtrind.

Sicher, fügt er nach einer Weile hinzu, als wir unten am Weidezaun stehen und den Yaks dabei zusehen, wie sie laut grunzend über die Wiese fetzen, traurig wäre er nicht, wenn er in Zukunft noch ein bisschen mehr verkaufen könnte. Würde er zwei bis drei Stiere pro Jahr ins Schlachthaus nach Eggersdorf bringen, ergebe das rund 450 Kilogramm Fleisch. Aber da bei Yaks, anders als in der konventionellen Zucht, aufgrund der überschaubaren Zahl an möglichen Samenspendern keine künstliche Besamung vorgenommen werden kann, ist Maichin in der Aufstockung seiner Herde von Mutter Natur abhängig. Besser gesagt: von der Sprungfreude Manjushris und der Gebärfreudigkeit seiner Yakdamen. Im letzten Jahr haben ihm seine sieben Kühe aber sechs Kälber geschenkt, »und das ist alles in allem schon ein guter Schnitt«, sagt Maichin. Würde Robert Maichin seinen Betrieb biozertifizieren lassen, dann könnte er für das Fleisch wohl noch mehr verlangen. »Aber was sagt das schon aus, ein Siegel? Für mich ist es jedenfalls nicht wichtig. Der bürokratische Aufwand, der mit einer Biozertifizierung verbunden ist, steht auch nicht dafür. Und schau dich doch um: Mehr bio kann man fast nicht wirtschaften.«

Da ist was dran. Wer sich umschaut auf Maichins fünf Hektar umfassenden Weideflächen und dem Hof, sieht viel Natur und sehr wenig Technik. Er hat den alten Stall nicht großartig aufgerüstet, die Tiere benötigen im Grunde genommen nur einen Unterstand. »Sie sind das ganze Jahr im Freien, den Stall nutzen sie ganz selten«, sagt er. »Und im Winter liegen sie gerne im Schnee, auch nachts.« Auf dem Ernährungsplan seiner Yaks steht vorwiegend Gras, an veränderte Futterverhältnisse passen sich die robusten, genügsamen Tiere aber nur zu gerne an. Selbst eine solide Schneedecke auf den Weiden hält sie nicht davon ab, nach Gräsern, Moos und Flechten zu scharren.

Alles muss, was kann. Fast.
Was Robert Maichin sehr viel mehr interessiert als Biosiegel, ist ein Gedanke, der sich in der naturnahen Lebensmittelproduktion langsam durchsetzt: Verwerte alles, was ein Tier hergibt. »Nose-to-tail“ nennen das Haubenköche und Gourmetkritiker. »Ganz normal« nennt Robert Maichin es. »Es bleibt eigentlich nicht wirklich viel über von einem Stier«, sagt er. Der lokale Krampusverein hat Interesse am pferdeähnlichen Schweif und den Hörnern der Tiere bekundet, die feine Yakwolle ist ein unter Designern immer stärker nachgefragtes Material.

Theoretisch, sagt Maichin, könnte man natürlich auch die Milch der Kühe verwerten und zu Butter und Käse verarbeiten. Alleine: Yakkühe geben gerade mal 400 Liter Milch pro Jahr. Eine moderne Hochleistungsmilchkuh bringt es im Vergleich dazu auf 50 Liter pro Tag. »Und das Melken ist auch arbeitsaufwendig«, sagt Maichin, »weil die Milchabgabe durch das Kalb ausgelöst wird. Da musst du schon zu zweit antreten, wenn du eine Kuh melken willst.«

Da geht es hin, das romantische Bild von der tibetanischen Bergnomadin, die auf National Geographic der Yakkuh mit einem Lächeln im Gesicht das Euter quetscht.

Aber Yakmilch, vergoren gar, und deren von den Nomadenstämmen so hochgeschätzte Derivate wie Butter, Käse und Schnaps wären dem Durchschnittseuropäer ohnehin nur schwer schmackhaft zu machen. Zu fett. Zu herb. Zu anders. Da schon lieber Wangerlgulasch. »Der letzte Stier ist zehn Tage gehangen nach der Schlachtung, das ist normal, aber die Wangerl waren ganz frisch. Und trotzdem butterweich«, sagt Robert Maichin in der Stube, in die der Nordwind uns mittlerweile getrieben hat und in der es nach frischem Kaffee und Biskuitroulade riecht. Und dass er schon stolz und froh ist, die Landwirtschaft nicht ganz aufgegeben zu haben. In Zukunft kann er sich vorstellen, auch Weidegänse zu halten. Weil er einen recht hohen Futterüberschuss hat und nichts verschwendet werden soll. Und weil Weidegänse einzigartige, ungewöhnliche Tiere sind.

Robert Maichin macht nicht so gerne, was alle anderen machen.

Robert Maichins Hof auf der Sonnleiten in Mortantsch bei Weiz kann man bei rechtzeitiger Voranmeldung einen Besuch abstatten. Weitere nützliche Infos und jede Menge Bilder von Maichins Schützlingen gibt es unter www.yakzucht-maichin.at[/column]

>> In ihren Ursprungsländern ist Yakmilch wichtigstes Basisprodukt für die Erzeugung von Butter und Käse. Zentralasiatische Völker haben unterschiedliche Wege gefunden, sogenannte Gelbbutter aus sehr lange erhitzter, fermentierter Milch herzustellen, die unter anderem im traditionellen Buttertee getrunken wird. Außerdem hoch im Kurs: Joghurt und Buttermilch, Ausgangsprodukt käseähnlicher Produkte wie Biaslag und Chur.

>> Yakfleisch ähnelt optisch zwar klassischem Rindfleisch, ist allerdings deutlich magerer, hat wenig Cholesterin und entwickelt ein leichtes Wildaroma. Das grobfaserige Fleisch ist reich an Eisen, Zink und Eiweiß, auffällig ist die gegenüber Rindfleisch deutlich gelbere Fettfarbe. Was die Möglichkeiten zur Zubereitung betrifft: Der sind keine Grenzen gesetzt.

>> Als einzige Rinderart der Welt verfügt das Yak über ein dichtes, mehrschichtiges Fell, bestehend aus einem feinen, flaumartigen Unterhaar und festem, robustem Deckhaar. Diese Kombination macht Yakwolle zu einer soliden Heizdecke. Gewonnen wird die Wolle durch Schur oder Auskämmen, hierzulande wird sie meist zu Ponchos, Jacken und Kuscheldecken versponnen.

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