Big Apple, Big Bottle? Egal. Hauptsache Big. Alex Adlgasser ist des Bacchus genialster und schrillster Geniestreich. Der Head-Sommelier der Tian-Gruppe über Patriotismus, Parker-Punkte und das Petrus-Problem.
Foto: Helge O. Sommer
Wien, Café 1010. Ums Eck liegt der Neue Markt, er riecht nach Geld in dieser Ecke der Stadt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite schleppen generalsanierte Damen Escada-Tüten, wer hier ohne Designer-Hornbrille auf die Straße tritt, hat Mut. Alexander Adlgasser bestellt Melange, jeden Montag um zehn Uhr vormittags trinkt er die hier. Die neonfarbenen Gastgartentische vertragen sich optisch bestens mit Adlgassers Krawatte. Der Mann weiß sehr genau, wie man mitten in Wien New Yorker Schule vom Feinsten zelebriert – stilistisch, und professionell sowieso. Seine Sätze kommen im Peng-peng-Rhythmus, die Gedanken springen vom Sancerre zu Robert Parker zu klassisch österreichischen Neidgeschichten, und wenn er etwas amüsant oder absurd findet, scheppert sein Lachen wie ein kollabierendes Weinglasregal. Peng, peng. Also ran an das wahrscheinlich schnellste Gespräch seit der Erfindung des Wortes.
Freut mich, dass Sie Zeit gefunden …
Alex Adlgasser: Gern! Geht schon los! Haben Sie auch Kaffee?
Nein, noch …
AA: Die haben hier den besten Kaffee der ganzen Stadt! Und man sitzt mitten auf der Straße. Super! Die Wiener wollen ja so gerne gesehen werden.
Sie offensichtlich auch, nachdem Sie im Gastgarten sitzen.
AA: Ja, aber nicht, wenn es ums Weintrinken geht!
Sie trinken aber gerade Kaffee …
AA: Nein, nein, es geht jetzt um den Wein. Dass die Leute nicht zum Weintrinken in den Keller gehen wollen in Österreich. Die Tian-Weinbar ist ja auch im Keller, und das ist ein großer Nachteil, wie sich gezeigt hat. Die Leute wollen nicht in den Keller, sie wollen gesehen werden, denen muss man einen Stehtisch im Freien oder einen Garten organisieren.
Es wird also bald einen Tian-Weinbar-Schanigarten geben?
AA: Wir werden uns da etwas einfallen lassen. Aber es ist sowieso nicht ganz einfach, den durchschnittlichen österreichischen Gast davon zu überzeugen, dass er sich auf das Trinkerlebnis in einer Weinbar einlässt. Wo es noch dazu ein bisschen mehr zu entdecken gibt als steirische Klassik.
Was spricht gegen steirische Klassik?
AA: Ich hab nichts gegen österreichischen Wein. Ich mache zum Beispiel ja gerade meinen eigenen Wein mit einem Winzer aus Österreich …
Aber bleiben wir doch kurz bei dem Problem mit den österreichischen Weintrinkern …
AA: Der Österreicher will seinen Sauvignon blanc aus Österreich, basta. Das ist traurig, weil es in Frankreich wunderschöne vergleichbare Weine gibt, aus dem Sancerre etwa. Da kostet die Flasche sogar vier bis fünf Euro weniger, und das sind Spitzenweine.
Aber spielt der Preis für den Gast wirklich eine so große Rolle bei der Weinauswahl?
AA: In Österreich schon! Wobei es ja absurd ist, dass die Gäste lieber einen teuren Steirer trinken als den günstigeren, manchmal besseren Franzosen. Und wenn es dann an wirklich gute, teure Flaschen geht, machen sie auf Pfennigfuchser. Sogar im Palais Coburg, wo ich einen Weinkeller hatte, der seinesgleichen sucht, hatte ich Schwierigkeiten, solche Weine zu verkaufen. Es gab dort das Angebot, aber nicht die Gästeschicht. In Amerika trinkt man teure Weine ganz selbstverständlich auch im Restaurant. Da krieg ich einen Château Petrus immer weg.
Jetzt ist aber Wien eben nicht New York – und ich gehe davon aus, dass auch die Tian-Klientel keinen amerikanischen Zugang zur Preisfrage pflegt …?
AA: Nein, aber im Tian ist die Herausforderung für mich größer als im Palais Coburg, eben weil es ein vegetarisches Lokal ist und man sich intensiv mit der Weinselektion beschäftigen muss, die den Gerichten auch gerecht wird. Außerdem ist die Geschäftsleitung äußerst kooperativ, was meine Vorstellungen von einem Playground angeht.
Wie sieht der aus?
AA: Im Weissenseerhof habe ich zum Beispiel einen super Keller bekommen, mit Fingerprint-Scan! Und ich kann im Tian Sachen machen, die in New York für mich normal waren. Etwa halbe Flaschen anzubieten, auch halbe Flaschen Champagner. Ich liebe Champagner, Schaumweine überhaupt … Großartig! In New York im Danube hatte ich 400 halbe Flaschen Wein im Angebot!
Und wie viele Flaschen …
AA: An die 35 im Tian. Momentan habe ich 500 Positionen auf der Karte, sehr viele offene Weine. Und auch wirklich geile Sachen, die ins Geld gehen, aber jeden Penny wert sind.
Wie zum Beispiel?
AA: Wie ein 2010er Puligny-Montrachet „Clavoillon“ aus der Domaine Leflaive. Kostet 210 Euro. Die meisten Flaschen im Tian gehen aber zwischen 60 und 100 Euro weg. Eigentlich ist mir am wichtigsten, dass die Leute nicht einfach zum Weintrinken kommen, sie sollen sich auf was Neues einlassen. Auf Neue-Welt-Weine zum Beispiel. Die Hälfte der Weinkarte im Tian besteht aus Österreichern und Deutschen, der Rest ist Neue Welt.
Welche Kriterien muss ein Wein erfüllen, um bei „The Grape“ ins Sortiment aufgenommen zu werden? Lassen Sie sich auch mal von einem Parker-Punkt mehr oder weniger leiten?
AA: Wer macht denn so etwas? Kein seriöser Sommelier jedenfalls! Außerdem: Ich habe Herrn Parker sicher am öftesten von allen Sommeliers bedient, er ist ein guter Bekannter und ich schätze ihn sehr. Aber ich suche meinen Wein selbst aus. Außerdem mag ich dieses Punktesystem nicht, ich vergebe Sterne von eins bis fünf für meine Weine. Wie in der Hotellerie. Hab ich vom ehemaligen Herausgeber vom Decanter-Magazin. Aber ich hatte einmal Gäste im Danube, die hatten alle Parker-Bücher unter ihrem Stuhl und haben bei jedem Wein nachgesehen, wie viel Punkte der hat. Das war hoch skurril.
Sie haben 15 Jahre lang in New York gelebt und in den besten Häusern gearbeitet, bezeichnen sich selbst als amerikanisierten Sommelier. Was unterscheidet Sie von den heimischen Berufskollegen?
AA: Ich nehme das Thema Wein sehr ernst, auch wenn meine Outfits manchmal das Gegenteil vermuten lassen. Ich reise viel, treffe mich mit ausländischen Sommeliers, schaue mich an der Loire und auf den Gütern genau um. Ich bin der Pirlo (Anm.: italienischer Fußballspieler) der Sommellerie – alt, aber immer in Bewegung. Bei den österreichischen Kollegen hab ich oft den Eindruck, dass es ihnen an Leidenschaft fehlt. In Amerika ist das ganz anders. Die Szene ist kleiner, aber enthusiastischer, mutiger, kollegialer.
Das klingt jetzt nicht nach Idealvoraussetzungen für die Sommeliertreffs, die in der Tian Winebar über die Bühne gehen sollten.
AA: Ich habe einige Kollegen, mit denen ich super klarkomme. Aber in Österreich gibt es extrem viel Neid. Als ich bei den LEADERS OF THE YEAR 2013 als Sommelier des Jahres ausgezeichnet wurde, haben mich viele Kollegen gefragt, warum genau ich diesen Preis gewonnen habe, anstatt zu sagen: „Gut gemacht, gratuliere!“
Zieht es Sie gar nicht mehr zurück in die große, weite Welt?
AA: Christian Halper expandiert ja momentan, sperrt in München und Berlin auf. Wenn er in New York etwas aufmachen würde, wäre das schon ein absoluter Traum. Ich hab immer noch viele Connections dort, auch privat.
Noch mal kurz zur österreichischen Sommelier-Branche. Was müsste denn passieren, damit mehr Bewegung in diese Szene kommt?
AA: Die Sommelier-Ausbildung in Österreich ist meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß. Die Jungen wissen zu wenig über internationale Gewächse, können Namen und Traubensorten nicht richtig aussprechen. Man muss sich als junger Sommelier einen Mentor suchen, sich Tricks abschauen, viel reisen und Zeit auf Weingütern verbringen, Sprachen lernen. Das bringt einen wirklich weiter.