Der Schatz von Bíldudalur

Wie der Sohn eines isländischen Fischers zum Öko-Aquakulturpionier wurde, und warum die von ihm gezüchteten Lachse aus Islands Westfjorden für ein kleines Dorf sehr viel mehr sind, als nur Fisch.

Eines Tages im Jahr 2007 sah Matthias Gardarsson raus auf den Arnafjord und beschloss, dass sein Dorf nicht sterben sollte. Das Dorf heißt Bíldudalur, wie an einer Perlenkette aufgefädelt liegt es im Schatten mächtiger Basaltberge, vor 20 Millionen Jahren in der Schlacht zwischen Feuer und Eis geformt, die eiskalten, fischreichen Gewässer des arktischen Ozeans zu Füßen. Es gibt in Bíldudalur eine Schule, eine Kirche, eine Tankstelle und ein Museum, das von Islands Seemonstern erzählt. Und, direkt am kleinen Hafen, eine Halle, in der jährlich rund 10 Tonnen Atlantischer Lachs verarbeitet werden. Matthias Gardarsson, der Fischersohn aus Bíldudalur, hat sie 2015 gebaut. Und damit nicht nur den Grundstein für eine erstaunliche unternehmerische Erfolgsgeschichte gelegt, sondern auch das Leben ins Dorf seiner Kindheit zurückgebracht.

COURAGE IN DER KRISE

Gerade noch 100 Einwohner zählte Bíldudalur, als der damals 60-Jährige Gardarsson anfing sich mit der Frage zu beschäftigen, wie er sein Dorf vor dem finanziellen und sozialen Niedergang retten und gleichzeitig ein hochwertiges Lebensmittel produzieren könnte. Gardarsson hatte über 30 Jahre lang in Norwegen Karriere im Lachsbusiness gemacht, er war mit dem System der industrialisierten Lachzucht bestens vertraut: hohe Besatzdichte in den Zuchtbecken, kollabierende Ökosysteme, Parasitenbefall, der in der Regel mit Pestiziden bekämpft wird, gentechnisch verändertes Futter. Praktiken, mit denen sich Gardarsson nicht anfreunden wollte – nicht in Norwegen, und schon gar nicht in seiner Heimat, den isländischen Westfjorden, mit ihrer unberührten Natur und artenreichen Gewässern.

Also fragte er seinen Sohn Kristian, ob der sich vorstellen könne, mit ihm gemeinsam an einem der menschenleersten, rausten und kargsten Orte der Welt Islands erste ökologisch nachhaltige Lachsfarm aufzubauen, und zog zurück nach Bíldudalur. „Mein Vater war davon überzeugt, dass Lachszucht im Einklang mit der Natur, mit Respekt vor den Tieren und zum Wohle der lokalen Bevölkerung in den Westfjorden möglich ist“, sagt Kristian Gardarsson, der die von Matthias 2009 in Bíldudalur gegründete Firma Arnarlax mittlerweile leitet. „Die Voraussetzungen dafür schienen perfekt, aber anders als in Norwegen ist die Wassertemperatur in den Westfjorden viel niedriger, die Winter sind rauer.“ Ob die Fische im durchschnittlich 2,1 °C kalten Wasser überleben und sich fortpflanzen würden, konnte niemand mit Sicherheit sagen.

WESTFJORD-WUNDER

Aller Ungewissheit zum Trotz erwarb Matthias 2012 eine Aufzuchtanlage für Jungfische, Smolts genannt, im nahen Bæjarvik. 2014 setzte er 500,000 davon in die ersten der mittlerweile 10 Netzgehege im offenen Meer. Schnell zeigte sich, dass die Wassertemperaturen den Tieren keineswegs zu schaffen machten, im Gegenteil: die von Anfang an ohne den Einsatz von Pestiziden oder Antibiotika aufgezogenen Fische entwickelten sich in den großzügigen Freiwasserbecken prächtig. 2016 konnte Arnarlax die ersten Lachse im Hafen von Bíldudalur vom Schiff laden.

Seitdem hat sich in Matthias Gardassons Heimatort vieles verändert. 250 Menschen leben heute wieder in Bíldudalur. Die Dorfschule, die vor einigen Jahren nur noch 8 Schüler zählte, zählt heute 44. In den schmucken, bunten Häusern wohnen wieder junge Familien, es gibt eine Busverbindung zu benachbarten Dörfern, ein Gemeindezentrum, ein Fitnessstudio.

„Diese Firma ist unser Herz, unsere Seele“, sagt Valdimar Ottóson, Kapitän des Arnarlax-Schiffs „Gandar Jörandsson“. Wir treffen ihn an einem eiskalten, stockdunkeln Septembermorgen am Hafen von Bíldudalur, um uns anzusehen, wie die Vonatur Lachse aus Islands Westfjorden aufwachsen.

Auch Ottóson ist ein Heimkehrer. Lange arbeitete er in Reykjavik als Fischer, aber irgendwann wurde die Sehnsucht nach Bíldudalur zu groß. Kapitän der Gandar Jörandsson zu sein, gibt seinem Leben wieder Sinn, sagt er. „Ich arbeite zwischen 12 und 14 Stunden am Tag, aber ich zähle die Stunden nicht. Ich bin glücklich am Aufbau einer so großartigen Firma mitwirken zu dürfen, die für unsere Region so viel bedeutet.“

DIE REINSTE REVOLUTION

Valdimar nimmt uns mit auf seine tägliche Tour, die ihn zu einem der drei Farm-Standorte im Arnarfjörður, Tálknafjörður und Patreksfjörðurd führt. Die Farmen liegen deshalb in verschiedenen Fjorden, um biologische Kontamination auszuschließen und die empfindlichen Ökosysteme so wenig wie möglich zu belasten. Wird ein Netzgehege mit ausgewachsenen Fischen geleert, liegt es für ein paar Monate lang brach, bis die nächste Generation ausgesetzt wird. „So stellen wir sicher, dass die Jungfische in absolut sauberem, natürlich regeneriertem Wasser aufwachsen.“ Die Reinheit des Wassers sei neben dem Verzicht auf Futter, das gentechnisch verändert wurde oder bedrohte Fischarten enthält, dem Verzicht auf Chemie und der geringen Besatzdichte in den Becken einer der wichtigsten Faktoren, um den Konsumenten ein nachhaltiges, nahrhaftes und weitestgehend naturbelassenes Spitzenprodukt bieten zu können. „Matthias und Kristian Gardarsson sagen immer: ‚Nur ein glücklicher Lachs ist ein gesunder und schmackhafter Lachs`“, betont Valdimar. „Und wir alle hier teilen diese Philosophie.“

Erschienen in Quintessenz 01/21

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