… oder: Warum auch die modernste Empörungskultur am Eingangsportal des Küniglbergs ihre Grenzen erfährt.
Im staatlichen österreichischen Rundfunk gab es mal eine Zeit, da zerlegte ein gewisser André Heller in der von ihm moderierten Ö3-Radiosendung „Musicbox“ Schallplatten, die seinem Gehörgang nicht zusagten, und warf sie aus dem Fenster der Wiener Funkhauses auf die Straße. Es soll in der heutigen Radiolandschaft Menschen geben, die dasselbe gerne mit den Platten seines Sohnes, Künstlername Leftboy, tun würden. Tun sie aber nicht. Weil diese Form des Reaktionismus unerwünscht ist in einer Branche, deren Aufgabe darin besteht, die Menschen vor den Lautsprechern mit einer völlig zusammenhangslosen Mixtur aus Schallala-Musik und gebetsmühlenartig wiederholten Willkommensheißungen im Wochendene zu bedienen. Daran hatte sich das Volk mittlerweile gewöhnt und sich größtenteils ruhig verhalten.
Doch dann kam ein kleiner privater TV-Sender namens OKTO daher und startete den Versuch, mit einer gewissen Elke Lichtenegger ein Interview zu führen. Dieser Versuch darf in zweierlei Hinsicht als gescheitert bezeichnet werden. Erstens, weil Frau Lichtenegger sich in diesem Interview einer narrativen Struktur bedient, die dem eines durchschnittlichen Volksschülers gleicht – was dem Berufsstand des Radiomoderators einer populären Nachmittagssendung des reichweitenstärksten Senders des Landes ganz generell wenig schmeichelt. Zweitens – und viel wesentlicher in diesem Zusammenhang – hakt es am Vorgetragenen selbst. Sollte es da draußen noch Menschen geben, die den kaum hitverdächtigen Ausschnitt des Videos noch nicht gesehen haben, hier eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse:
Die kleine Elke saß einst an ihrem Tischchen und wollte arbeiten. Im Studio nebenan quakte eine namenlose und der Dame unbekannte Band namens „Imagine Dragons“ vor sich hin (im Fachjargon als Warmsingen mittels Vortragen der C-Dur-Tonleiter betitelt). Die kleine Elke konnte den Lärm kaum ertragen, stürmte also in Richtung Studio, brüllte die Fremden an, sie mögen doch bitte gefälligst nicht so laut singen, und knallte die Studiotüre zu. Das spricht grundsätzlich für schlechte Erziehung und mangelndes Bewusstsein über gängige Umgangsformen, nicht jedoch für große Unüberlegtheit und Dummheit. Die folgte, als die kleine Elke sich zur Essenz der Geschichte vorarbeitete. Man habe ihr schräge Blicke zugeworfen ob dieses rebellischen Aktes, geflüstert habe man ihr, peinlich berührt, dass es sich hier doch um die allseits bekannten „Imagine Dragons“ handle und man denen doch nicht einfach so die Türe vor der Nase zuknallen könne. Die kleine Elke erschrak ob dieser Erkenntnis, was sie dem Interviewer auch mitteilte, und setzte zum vermeintlich amüsanten Rechtfertigungsgeschwurbel an. Diese „Imagine Dragons“ hätten gar nicht so ausgesehen, wie auf Google, und sie hätte sie eben nicht erkannt. Und außerdem sei sie davon ausgegangen, dass in dem Studio mal wieder irgendeine schlechte, unbekannte österreichische Band sitze, die ihrem Sender wieder mal ein grottiges Lied verkaufen wolle, welches sie ja ohnehin nicht zu spielen gedenke, zumal es für den hitverdächtigsten Sender des Landes mit Sicherheit nicht tauglich sei.
Ende der Geschichte. Anfang des Wahnsinns.
Nachdem der Mitschnitt auf Youtube gelandet war, änderte sich das Leben von Frau Lichtenegger recht schlagartig. Wer die Wirkungsmechanismen eines Shitstorms verstehen wollte, musste nur Facebook checken. Die Interessensgruppen prügelten sich geradezu um einen Platz auf Elke Lichteneggers Facebook-Wall. Den Anfang machten, wenig überraschend, die frustrierten österreichischen Musiker, die eigentlich alle grenzwertige Erfahrungen bei Ö3 gemacht haben. Erfahrungen, wie sie Frau Lichtenegger in wenig schönen Worten in eine Nusschale presste. Ö3 und österreichische Interpreten schließen sich gegenseitig aus, das wissen die Musiker, das wissen die Programmdirektoren, die Politiker sowieso – den Ö3-Konsumenten (und damit dem Großteil der Radiohörer dieses Landes) war das allerdings über weite Strecken bis dato sowieso schnurzegal. Der Zorn österreichischer Musikschaffender entlud sich ungehemmt an der Person Lichtenegger als auch an dem Sender, für den sie moderiert. Der Frustrationslevel unter den Vertretern dieser Branche war niemals höher als aktuell, und diesem Umstand wurde in den ersten Reaktionen in Social Media mehr als augenscheinlich Rechnung getragen. In den Diskurs mischten sich schnell Vertreter der sogenannten „Ö3-Community“, also die Hörer, die Frau Lichtenegger mit erhobenem Zeigefinger ermahnten, als Moderatorin eines österreichischen Senders doch bitte nicht die österreichischen Künstler zu verunglimpfen. Wie zu erwarten war, traten innerhalb kürzester Zeit auch die unbeteiligten Gegen-alles-Seier auf den Plan und ereiferten sich über Frau Lichteneggers Hang zur Selbstinszenierung, ihren Bauchmuskel-Spleen, ihre Moderation im Bikini und zwanghaftes Selfie-Geknipse. Zu guter Letzt hatten dann auch noch die Kollegen ihre Hand an der Skandalwiege, darunter der durchaus honorige Eberhard Forcher, der den um sich greifenden Wahnsinn dazu nutze, wenig dezent auf sein eigenes Engagement für österreichische Musik hinzuweisen.
Knapp 48 Stunden, 700 Kommentare an Elke Lichteneggers Facebook-Wall, eine etwas holprige Entschuldigung von ihr und eine von Ö3-Senderchef Spatt, einen Kommentar von Hannes Tschürtz im „Standard“ und viele Schmähvideos später herrscht immer noch Sturm im Wasserglas – nur, dass dieser Umstand schon morgen keinen mehr jucken wird.
Elke Lichtenegger hat sich das Leben selbst nicht grade einfach gemacht mit ihren Aussagen, aber sie wird weder ihren Job verlieren, noch ihn freiwillig aufgeben, und wenn sie sich die Knie vom zu Kreuze kriechen wund gescheuert hat, das tun, was sie immer schon getan hat. Schlechte Manieren beweisen, gedankenbefreit und ohne jegliches Interesse an der Materie Lieder ansagen, Knöpfe drücken und danach auf einen Saft im Hipster-Schuppen um die Ecke neben ihrem Fitness-Tempel gehen. Und bei alledem möglichst gut aussehen und möglichst viel Fotos vom Gutaussehen auf facebook stellen.
Die Vertreter der Musikindustrie, die gestern bereits den verzweifelten Versuch starteten, ihre rüden Aussagen abzuschwächen, werden das in den kommenden Tagen weiter tun. Das ist ein allseits beliebter und sehr österreichischer Weg. Erst mal zieh ich dir eins über und nenn dich eine Schande und einen hirnlosen Trampel, dann verlautbare ich, dass ich es eh gar nicht so gemeint habe, du ja eigentlich gar nicht das Problem bist, und dass bitte jetzt alle damit aufhören soll, garstig zu dir zu sein.
Diejenigen Vertreter oben genannter Branche, die das Problem etwas differenzierter betrachten, verlagern den Diskurs nun wieder auf den ja auch tatsächlich ursprünglichen Kern der Sache – nämlich die Quotendiskussion, die wir in diesem Land führen, seit ich denken kann. Es werden Blogs und Walls zugepflastert mit Statistiken, die wir mittlerweile alle kennen, etwa jener, dass der Anteil österreichischer Musik bei 4 bis 7 Prozent liegt oder dass andere Länder erfolgreich Quoten eingeführt haben. Es ist Zeit, dass sich endlich etwas ändert, schreien alle, und das ist nur würdig und recht, aber: es wird nicht passieren. Immer noch nicht. Die Politik wäre gefordert, aber sie lässt sich nicht fordern, und wird es in Zukuft nicht. Ö3 steht wirtschaftlich bestens da, was von Deutschland in puncto Musikprogramm vorgegeben wird, wird von der Masse abgenickt und schadet dem Sender nicht. Würde Ö3 in Zukunft freiwillig 20 Prozent österreichische Musik ins Programm aufnehmen, würde die bestens zum Nichthören erzogene „Ö3-Community“ rebellieren, weil Katy Perry einfacher zu konsumieren ist als Garish oder HVOB.
Hörerseitig ist nicht davon auszugehen, dass Ö3 sein Publikum verliert, schon gar nicht an FM4 oder Ö1. Deren Hörer sehen sich in ihrer fundamentalistisch ausgeprägten Abneigung gegenüber dem Mainstream bestätigt, mehr aber auch nicht.
Die Musiker dieses Landes, unabhängig davon ob sie jetzte „total schlecht“ oder eh ganz okay im Studio vor sich hin singen, werden weiterhin um Anerkennung von Ö3 ringen müssen, oder sich irgendwann einen anderen Job suchen, weil sie ihren Lebensunterhalt endgültig nicht mehr bestreiten können.
Und die Moderatoren von Ö3 werden auch weiterhin das tun, was man von ihnen verlangt, nämlich Lieder ansagen.
Egal, welche.
zapperlapapp, 2014