Über die Unkultur des Todes

Es ist nicht schwer, angesichts der öffentlichen Schlachtung des Giraffen-Bullen Marius im Kopenhagener Zoo in den empörten Singsang des Gutmenschtums einzustimmen. Dabei fußte die moderne Empörungskultur wohl niemals auf loserem Untergrund, als in diesem Fall.


Bengt Holst mag dieser Tage regelmäßig von einer Zeit träumen, in der sein Posten als Direktor des Kopenhagener Zoos noch als Traumjob durchging. Holsts Entscheidung, dem jungen Giraffenbullen Marius ob dessen Unpässlichkeit im Zoogefüge den Garaus zu machen, beschert dem Dänen seit mehr als einer Woche Morddrohungen und natürlich eine Online-Petition, in der seine Absetzung gefordert wird.

Es ist ein ebenso bizarres wie eindrucksvolles Bühnenstück moralischer Bevollmächtigung, das eine vorgeblich moderne Zivilgesellschaft hier abliefert. Eine Gesellschaft, die es vorzieht, den Tod zugunsten der Erhaltung eines möglichst unbefleckten Konsumgewissens unsichtbar zu machen. Das Sterben ist ein lautloser und steriler Akt geworden, gut versteckt vor den Augen der Öffentlichkeit. Dabei war unsere Gier nach Fleisch noch nie größer. Laut eines Berichtes der Europäischen Kommission werden in EU-Schlachthöfen jährlich etwa 360 Millionen Schweine, Schafe, Ziegen und Rinder sowie mehrere Milliarden Stück Geflügel zur Fleischgewinnung geschlachtet. In Österreich beläuft sich der jährliche Fleischkonsum pro Kopf laut Statistik Austria auf etwa 100 Kilogramm. An der Kühltheke aber möchten wir keine Raubtiere sein, die essen, was einst lebendig war.

Wir möchten cleane, aufgeklärte Konsumenten sein.

Wir achten auf Bio-Siegel, wir möchten an glückliche Hühner und Schweine denken. Mit der PVC-Packung in der Hand torkeln wir zur Kasse, der Gedanke an den Tod rückt in die Ferne. Unser Bemühen, den Tod und das Töten von Tieren auszuklammern und wegzuleugnen, lässt ein Realitätsvakuum entstehen, das wir vielleicht sogar als solches begreifen können – unsere Kinder aber können das nicht. Wir nehmen ihnen die Möglichkeit, einen Teil unserer Kultur zu verstehen, und unsere Kultur ist und war stets eine des Tötens. Ihre furchterregendste und würdeloseste Ausprägung erfährt sie in der industriellen Massentierhaltung und Fleischproduktion, und es ist nur angemessen, den öffentlichen Diskurs über dieses System nicht abreißen zu lassen und öffentlich anzuklagen. Absurderweise schauen wir, die aufgeklärten Konsumenten, aber gerade hier nach wie vor besonders gerne weg. Anstelle von Hysterie, die womöglich sogar angebracht wäre, regiert Lethargie.

Nicht aber, wenn in einem staatlichen Zoo ein Tier getötet, vor Publikum geschlachtet und an andere Zootiere verfüttert wird. An diesem Punkt kennt die Hysterie scheinbar kaum noch Grenzen. Denn öffentlich gestorben wird nicht. Schon gar nicht in einem Zoo, wo doch Tiere ausschließlich gehalten werden, um unser Verlangen nach Wildnis und Ursprünglichkeit zu befrieden. Tierparks und –gärten verstehen wir als Tieridyll, und was wir suchen, ist die perfekte Inszenierung dieses Paradieses, süße Äffchen, knuddelige Eisbären und Elefantenbabies mit Kulleraugen inklusive. Angesichts der Unkultur des Tötens, die wir alle immer wieder gedankenlos abnicken, ist es ein beschämender Akt, sich ohne eine tiefgreifendere Auseinandersetzung mit unserem eigenen täglichen Verhalten unter dem Label des Tierschutzes auf die Seite des von den Medien in Stimmung gebrachten, wütenden Mobs zu schlagen. Auch wenn Emotionen zumeist den rationalen Blick auf ein Ereignis vernebeln, so ist es doch eine unumstößliche Gewissheit, dass die Tötung dieser Giraffe keineswegs ein Beispiel barbarischer Willkür war, sondern – wie mit einiger Verzögerung einige Direktoren anderer Zoos bestätigten – zoologische Praxis.

Zoodirektor Holst legte darüber hinaus klar und deutlich offen, aus welchen Gründen es in Marius’ Fall keine Alternative zur Tötung gab. In einem Zoo kann sich die Natur nicht selbst regulieren, also hat der Mensch diese Regulierung übernommen, und man darf durchaus den Gedanken zulassen, ob Marius in der Namib länger am Leben gewesen wäre als in Kopenhagen. Dass die Verantwortlichen dort entschieden, das Fleisch dieses Tieres nicht weg zu werfen sondern es an Raubtiere zu verfüttern, mag von vielen, die Zoologische Gärten als Gärten Eden verstehen, als Grausamkeit verstanden werden. In Wahrheit trug man damit dem Nachhaltigkeitsgedanken auf eine gelungene und pädagogisch wertvolle Art und Weise Rechnung. Denn dass der Tod nicht ausgesperrt wurde, dieses Mal, setzt einen Bewusstseinsbildungsprozess in Gang, der längst überfällig ist. Die Kinder, die dieser kommentierten Sektion beiwohnten, haben die Chance erhalten, diese Entscheidung für den Tod zu verstehen und haben damit vielen Kindern in anderen, modernen Gesellschaften etwas voraus. Wenn wir in diesem Zusammenhang schon die schwierige Frage nach der moralischen Verantwortung einer Gesellschaft gegenüber anderen Lebewesen stellen, dann sollten wir vielleicht in allererster Linie über die Daseinsberechtigung von Zoos im Allgemeinen diskutieren. Und ob der wirklich barbarische Akt am Ende nicht vielleicht darin besteht, wilde Kreaturen hinter dicken Gitterstäben einzusperren.

zapperlapapp, 2014

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