Der ewige Unruheständler

Sein Stern ging dereinst über einem Personalessen auf, er lehrte Deutschland Gerichte zu essen, die die Seele umarmen, der Guide Michelin lag ihm zu Füßen und im Regelpensionsalter heuerte er nochmal auf der MS Europa an.  Bei den ROLLING PIN Awards 2017 wurde 3-Sterne-Kochlegende Dieter Müller für sein Lebenswerk geehrt. Eine Begegnung.

Herr Müller, was haben Sie zuletzt gekocht?

Gestern hab ich gemeinsam mit den ehemaligen Küchenchefs der Schweizer Stuben für 680 Gäste Cappuccino von Curry und Zitronengras mit Rotkopfgarnele und Risotto mit Spinatpüree, pochiertem Eigelb, Nussbutter und Trüffel gekocht.

Sie sind jetzt 69 Jahre jung. Nehmen Sie mir das nicht übel, aber: Hört das denn nie auf?

Ich halt es mit den großen Franzosen.  Die können‘s auch nicht lassen. Naja, und ich hab ja Familie. Die essen auch alle gerne.

Wie findet jemand, der 50 Jahre am Herd steht, das Gleichgewicht zwischen Disziplin und Freude?

Mir ist mein Beruf nie auf die Nerven gegangen. Deshalb hab ich mir übers Gleichgewicht herstellen auch nie Gedanken gemacht. Wobei – jetzt, mit ein paar Jährchen Sternegastronomie-Erfahrung am Buckel, fällt es mir natürlich noch viel leichter, mit Freude zu kochen, weil ich mir die Projekt-Perlen rauspicken kann.

Perlen wie das Restaurant Dieter Müller auf der MS Europa?

Zum Beispiel. Ein Restaurant auf die Beine zu stellen, auf einem Luxus-Kreuzfahrtschiff zwar, aber mit eingeschränkten Mitteln und in einer Küche, in der man sich grade mal umdrehen kann … das war schon eine besondere Herausforderung. Aber auch der absolute Höhepunkt in meinem Leben. Bis jetzt zumindest.

Klingt, als hätten Sie da was in der Pipeline?

Nächstes Jahr im Herbst übernehme ich die Patronanz eines neuen Restaurantkonzepts im Berliner Hotel Ritz-Carlton. Leichte moderne, zeitgemäße deutsche Küche, unverschnörkselt umgesetzt in eher kleineren Gerichten, wo der Gast nach Lust und Laune zwei, vier oder sechs Teller bestellen kann. Eine moderne, offene Küche und ein junges Team. Und es  wird nicht einfach nur Dieter Müller drüber stehen, sondern auch Dieter Müller drin sein. Das ist mir extrem wichtig. Ich stelle das Team, ich leite die Crew an, ich schreibe die Speisekarte. Das wird eine schöne Nummer.

Eine schöne, ziemlich große Nummer, oder?

Absolut.  Aber ich bin ja noch gut in Schuss.  Letztes Jahr hab ich mich durchchecken lassen.  Mein biologisches Alter liegt bei 48 Jahren!

Dann können Sie ja mindestens noch 20 weitere Jahre kochen.

Das vielleicht nicht. Aber in Pension gehe ich trotzdem nicht. Und was das Engagement mit Ritz-Carlton angeht, muss ich sagen: Diese Entwicklung jetzt ist ja nicht nur spannend, sondern auch irgendwie amüsant.

Warum?

Weil die amerikanische Ritz-Carlton-Gruppe mich vor 28 Jahren schon mal als Executive Chef locken wollte.  Das wäre eine tolle Adresse gewesen, aber als ich im New Yorker Hotel die Küche gesehen hab, da war’s gleich wieder vorbei mit Amerika. Im Keller koch ich nicht.

In San Francisco hätte es auch ein Ritz-Carlton gegeben. Ohne Kellerküche.

Da haben Sie Recht. Das war netter dort.

Nicht nett genug?

Natürlich hatte ich den dritten Michelin-Stern im Hinterkopf, den ich unbedingt wollte. In Wertheim (Anm: Dieter Müller führte das Restaurant Schweizer Stuben in Wertheim-Bettingen mit seinem Bruder Jörg von 1973 bis 1990) hatte ich damals 1977 ja bereits zwei, aber Michelin hat mich auch wissen lassen: Solange du in Wertheim bist, kriegst du den dritten Stern nicht. Von Amerika will ich gar nicht reden, das wär ja die reinste Utopie gewesen.

Was genau war an der Schweizer Stuben nicht 3-Sterne-würdig?

Die Tester haben damals eine etwas andere Messlatte angelegt. Denen hat mein Essen schon gepasst, aber unser damaliger Patron nicht. Ein neureicher Fabrikant, der sich theoretisch die besten Köche einfach einkaufen kann, und dann in Frankreich auch noch damit angibt, dass wir es mindestens so drauf haben wie die Franzosen.  Das kam nicht gut an. Zumal damals ja auch Tester aus Frankreich die Küchenleistung in der Schweizer Stuben bewerteten.

Sie haben den dritten Stern nicht bekommen, weil der Guide Michelin ihren Vorgesetzten nicht leiden konnte?

Das hat sicher eine Rolle gespielt.  Man gab mir jedenfalls zu verstehen, dass man sich drei Sterne alleine erarbeiten muss.

„Die Sphären-Olive von Ferran Adrià hat mich schon beeindruckt. Nur sinnvoll fand ich’s halt nicht, etwas zu zerlegen, um es dann wieder zusammenzubauen. Und dann sagen dir die Kellner auch noch, wie du das Ding essen sollst!“

Was sie dann ja in Schlosshotel Lerbach 1997 auch geschafft haben. Vor Ihnen gelang das nur Harald Wohlfahrt und Eckart  Witzigmann. Heute gibt es elf Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland. Was sagt das über den Zustand der deutschen Gastronomie aus?

Tatsächlich gibt es heute viel mehr wirklich gute Küchen als früher, und es gibt einen soliden Stamm an jungen Köchen, die sensationelle Leistungen abrufen. Aber der Guide Michelin ist heute in seinen Bewertungen sicher auch großzügiger, als damals. Bewertet wird alleine die Küchenleistung, weniger das Service, das Ambiente,  das ganze Drumherum. Das hat früher noch eine größere Rolle gespielt, glaube ich. So oder so: Im 2018-er Guide sind 300 deutsche Sternerestaurants gelistet, und wenn man sich alleine auf diese Zahl konzentriert, dann kann man schon behaupten: Die deutsche Gastronomie operiert auf Spitzenniveau.

Und wenn man sich nicht alleine darauf konzentriert?

Es gibt zwar viele Sternerestaurants, aber der Gästekreis, der sich dieser Art von Kulinarik erlaubt oder leistet, ist nicht viel größer, als er es in den 70ern oder 80ern war. Das macht es heute auch viel schwieriger, mit 3 Sternen wirtschaftlich zu bestehen.  Wir hatten es da einfacher, mit zwei Sternen und 19,5 Punkten in der baden-württembergischen Provinz. Wir waren eine Sensation!  Die Amerikaner haben uns die Bude eingerannt. Heute wollen die Leute in Berlin für einen ordentlichen Lunch nicht mehr als 10 Euro ausgeben. Was sagt uns das?

Dass eine Würstelbude rentabler ist, als ein Sternerestaurant?

Ganz genau. Schalten Sie mal mittags eine von diesen Kochsendungen ein. Da geht es um Unterhaltung, nichts ums Essen. Viel gebabbelt muss werden, viel Show, die Quoten müssen stimmen. Weder lernen die Zuseher etwas übers Produkt, noch über seinen Wert oder übers Kochen. Und die meisten der Zuseher werden in ihrem Leben nicht in ein 3-Sterne-Restaurant essen gehen.

Sie haben sich in Ihrer Karriere niemals Trends unterworfen, in ihrem Restaurant auf der MS Europa und in ihren Kochkursen räumen Sie in der Sterneküche latent in Verruf geratenen Edelprodukten wie Gänseleber unbeirrt viel Platz ein. Was haben Sie denn gegen Regionalität, Tierwohl oder Gemüseküchen?

Gar nichts! Ich hab auf der MS Europa auch ein vegetarisches Menü auf der Karte. Gegessen wird es halt selten. Aber bei Steinbutt und Gänseleber kriegen die Gäste leuchtende Augen. Weil es großartige, besondere Produkte sind! Nur Edelprodukte am Teller geht natürlich nicht, man muss sie schon spannend kombinieren. Champagnerkutteln mit Langostino, zum Beispiel. Aber wenn Sie mich jetzt fragen, ob ich einen Mehlwurm als Gag einem ausgefeilten, optisch perfekt in Szene gesetzten Gänseleber-Trio vorziehen würde, dann lautet die Antwort: nein. Ich hab schon eine kulinarische Linie, auch wenn sie weniger starr ist, als sie wahrscheinlich glauben.

Wie starr ist sie denn?

Saucen und Fischgerichte haben bei mir oberste Priorität. Aber stur einen Stil zu kochen war nie mein Ding. Ich bin immer offen, ich will am neuesten Stand sein. Wann auch immer sich die Gelegenheit ergibt, gehen meine Frau und ich essen. Beim Essengehen lernt man viel. Und auf Märkten.

„Ich bin selbst aus der Bundeswehr-Küche nicht raus, ohne dafür eine Auszeichnung zu bekommen. Wenn du in diesem Beruf keinen Ehrgeiz zeigst, hilft dir das ganze Talent nichts.“

Welche Küchenleistung hat Sie zuletzt nachhaltig beeindruckt?

Ganz spontan fällt mir der Besuch bei Klaus Erfort ein. So eine klare, beeindruckende Küche!

Wenn Sie einem jungen Küchenchef da draußen einen Rat für sein weiteres berufliches Leben mit auf den Weggeben könnten, dann würde der lauten:

Geld ist nicht alles.

Aber ganz nützlich.

Respekt, Teamgeist und eine anerkennende Arbeitsatmosphäre sind mehr Wert. Wollen Sie dazu einen Schwank hören?

Gerne.

Ich bekam mal ein sehr  verlockendes Angebot von Max Grundig, auf der Bühlerhöhe das neue Restaurant zu leiten. Das wäre ein idealer Ausgangspunkt für den dritten Stern gewesen. Der bietet mir also 500.000 Mark pro Jahr. Das war eine unvorstellbare Summe für mich. Da wollte ich drüber nachdenken. Und meine Frau und ich, wir hatten Hunger nach dem Gespräch. Also lud uns der designierte Hotelchef ein. Nicht auf ein anständiges Abendessen. Sondern auf ein Stück Zwetschkenkuchen und Kaffee. Da hab ich zu meiner Frau auf dem Heimweg gesagt: ‚Da gehen wir nicht hin. Wenn die mich so dringend haben wollen, aber die Wertschätzung nicht über ein Stück Kuchen hinausgeht, sind wir in Wertheim besser aufgehoben‘.

csm_RP181_Cover_small_5cb688384e Erschienen in ROLLING PIN #181, 2017

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