Saubere Sache

Clean Eating heißt das aktuell heißeste Ernährungskonzept. Und das hat nichts mit hygienischer Sauberkeit zu tun. Es ist mehr die Idee, sich bewusster und von möglichst unverarbeiteten Produkten zu ernähren. Ganz ohne Kalorientabelle im Kopf. Was ist wirklich dran an der Idee vom sauberen Essen?

Fotos: Nini Tschavoll, Daniela Wagenhofer, Amina Steiner, Ferdinand Neumüller

Na, was landet denn bei Ihnen so am Frühstückstisch? Eine große Tasse Kaffee vielleicht? Toastbrot mit Nutella? Oder Müsli mit Joghurt und selbst gemachtem Apfelmus? Ganz schön lecker, aber leider alles ziemlich „unsauber“. Zumindest, wenn es nach Anhängern des Clean Eating-Konzepts geht. Denn auf deren Tischen landen ausschließlich unverarbeitete, naturbelassene biologische Produkte ohne künstliche Farb- und Konservierungsstoffe. Kurz: Saubere Lebensmittel. Wenn Sie also in Zukunft ein cleanes Frühstück zu sich nehmen wollen, sind Sie mit Porridge, Nüssen und einem Apfel im Ganzen – zerstampft wäre nämlich streng genommen nicht clean – auf der sicheren Seite.

Ein alter Hut in einer neuen Schachtel                                                                                          

Wenn man so will, dann lautet das oberste Grundprinzip des sauberen Essens: Iss nichts, was deine Großmutter nicht als Essen erkannt hätte. Wer sich clean ernährt, verzichtet auf Fertiggerichte und Fast Food, lässt die Finger von raffinierten Salzen, Ölen und Zucker,  greift in erster Linie zu frischem, rohem und regionalem Obst und Gemüse, kombiniert „gute“ Kohlehydrate wie braunen Reis oder Quinoa mit fettarmem Eiweiß und achtet ganz generell darauf, dass Lebensmittel möglichst unverändert auf dem Teller landen. Die Anhänger der von der amerikanischen Ernährungswissenschaftlerin Tosca Reno 2007 ersonnenen Ernährungsmethode werden nicht müde, die Vorzüge des Clean Eatings  zu betonen. Reinere Haut, purzelnde Pfunde, mehr Energie, verbesserte Verdauung – und das alles ohne mühselige Kalorienzählerei und ökologisch  nachhaltig. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Jedenfalls wahr ist, dass Clean Eating das Potenzial hat,  Veganismus als aktuell beliebteste Trend-Ernährungsformen den Rang abzulaufen.  Während Clean Eating in Österreich noch in den Kinderschuhen steckt, verzeichnet das Konzept in Deutschland eine rasant wachsende Anhängerschar. In Berlin eröffnete kürzlich sogar das erste Clean-Eating-Restaurant. Im „The Bowl“ werden ausschließlich Gerichte serviert, die frei von Transfetten, künstlichen Zusatzstoffen, weißem Zucker, Weizenmehl und anderen in der Ernährungswissenschaft zusehends in Verruf geratenen Zutaten sind.

Was nach dem ultimativen neuen Heilsbringer im Zeitalter hoch technologisierter Lebensmittel und Convenience-Food aussieht, ist auf den zweiten Blick gar nicht so neu. Seinem Körper möglichst naturbelassenen Treibstoff zuzuführen war bereits vor 30 Jahren eine von Ernährungswissenschaftlern empfohlene Ernährungsmaxime. Stichwort: Vollwertküche. Ein Begriff, der immer noch Bilder von geschmackloser Körner, knochentrockenen Dinkelwecken, pappigen Weizennudeln und   Rohkostplatten in unseren Köpfen hervorruft. Wahr ist, dass es sich beim Clean Eating im Grunde genommen tatsächlich um Vollwerternährung handelt – nur eben eine moderne und durchaus geschmackvolle Form davon.

Diättrend oder Lebensstil                                                                                                                          

Der vielleicht größte Pluspunkt des Clean-Eating-Konzepts: Es handelt sich um keine Diät, sondern um ein langfristiges Ernährungskonzept, das „gute“ Lebensmittel „bösen“ einfach vorzieht. „Auch wenn man bei der Ernährungsumstellung auf Clean Eating unter Umständen ein paar Kilos verliert, geht es nicht um kompletten Verzicht, sondern darum, gewisse Lebensmittel einfach vom Speiseplan zu streichen“, sagt die gebürtige Linzer Studentin Amina Steiner, die sich auf ihrem Blog Grasgrün & Himmelblau eingehend mit dem Thema Clean Eating beschäftigt. Kalorien zählen? Für Clean Eater wie Amina, die mit ihren erst 20 Jahren bereits einige Diäten und Ernährungslehren ausprobiert hat,  kein Thema. „Man muss lernen, auf seinen Körper zu hören, ihm geben, was er braucht und dabei auch immer ein wenig die Umwelt im Kopf behalten“, fasst Amina ihre ganz persönliche Clean-Philosophie zusammen. „Ich halte generell wenig davon, einen dogmatischen Ansatz zu verfolgen und sich zu sehr auf die Prinzipien des Clean Eatings zu konzentrieren.“ Was sie damit meint: Auch Sauberesser müssen nicht päpstlicher als der Papst sein.

Alle von Clean Eating-Urmutter Tosca Reno erstellten Prinzipien immer zu 100 Prozent zu befolgen, erweist sich im Alltag nämlich durchaus als  Herausforderung. Fünf bis sechs kleine Mahlzeiten sollten Clean Eater etwa über den Tag verteilt zu sich nehmen. Vor allem für Berufstätige keine besonders verlockende Vorstellung. Ebenso wenig verlockend ist die Tatsache, dass im Clean Eating propagierte Superfoods wie Chiasamen, Kokonussöl, Mandelmilch & Co. nicht gerade kostengünstig sind.  Ist Clean Eating also eine Ernährungsform für Besserverdiener? Davon wollen Clean Eater wie Amina oder ihre deutsche Blogger-Kollegin Hanna Frey, die zum Thema kürzlich ein Buch mit Rezepten auf den Markt gebracht hat, nichts wissen. Auf den ersten Blick mögen 6 Euro für eine Dose Kokosöl ein stolzer Preis zu sein, dafür habe  man aber auch drei Wochen lang etwas davon. Außerdem gingen Bio-Obst und –Gemüse mittlerweile nicht mehr so ins Geld, wie noch vor einigen Jahren, weshalb sich Clean Eating durchaus mit einem durchschnittlichen Haushaltsbudget vereinen ließe.  Zeitaufwändiger als andere Ernährungsformen sei Clean Eating auch nicht, betont Bloggerin Amina Steiner  – man müsse lediglich ein wenig mehr vorausplanen, um im Büro oder abends aus Erschöpfung oder Zeitmangel nicht doch den Verlockungen einer Fertigpizza zu erliegen.

Unabhängig davon, ob Sie Ihren Apfel nun lieber im Ganzen oder doch als Mus essen:  Für alle, die sich keiner Ernährungs-Amtskirche unterwerfen wollen und sich einfach ein gutes Stück bewusster und gesünder ernähren möchten, ist eine Ernährungsumstellung auf Clean Eating bestimmt einen Versuch wert …

Maxima_Cover MAXIMA Jän./Feb. 2016

1 Kommentar zu „Saubere Sache“

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