Weißwein, der wie Rotwein produziert wird und nach leicht verrotteter Vegetation schmeckt, ist der Aufreger der Weinszene. Ist das jetzt genial oder daneben? Großartig oder grauenhaft? OSCARS über die Für und Wider der Orange Wines.
Foto: La Bottiglia
Diese Eso-Spinner! Dachten sich vor ein paar Jahren noch Weinjournalisten, Kritiker und Sommerliers, als eine handvoll heimischer Winzer damit begann, ihre Trauben samt Schale und Stängel in georgische Tonamphoren, so groß wie kleine Gartenhäuser, zu werfen, und sie im eigenen Garten zu verbuddeln. Ihre Temperatursteuergeräte und Edelstahltanks aus dem Keller zu verbannen, das Wort Reinzuchthefe aus ihrem Worschatz zu streichen, und zu befinden, dass ein Wein keinen Schwefel braucht, um als trinkbar durchzugehen. Zu dieser Zeit hatten Spitzenwinzer aus dem Friaul und der italienisch-slowenischen Kartsregion ihre Weinkeller schon seit rund 15 Jahren radikal von jeglicher Technik befreit. Josko Gravner, Edi Kante, Stanko Radikon und Nicolò Bensa lagerten die Trauben autochtoner Sorten wie Ribolla Gialla und Malvazia monatelang auf der Maische und füllten den bernsteinfarbenen, maischevergorenen Weisswein sogar in Flaschen ab.
Waren die wahnsinnig geworden? Traube, Putz und Stingel in ein Tongefäß wuchten und ein halbes Jahr später nachschauen, ob rein zufällig Wein im Bottich war?
Es dauerte nicht lange, da kamen TV-Teams ins Friaul und den Karst. Und immer mehr Weinjournalisten. Um nachzufragen, was es denn jetzt genau auf sich hat, mit dieser ursprünglich aus Georgien stammenden Vinifizierungsmethode. Die rund 8000 Jahre alt ist und Weine hervorbringt, die über keine sortentypischen Merkmale verfügen, ein ungewohnt sperriges Geschmacksprofil aufweisen und bei unsauberer und fehlerhafter Verarbeitung des Traubenmaterials schon mal sehr viel mehr mit Essig als mit Wein gemein haben.
Diese Eso-Spinner! Mit ihrem oxidierten, fehlerhaften Wein!
Dachten sich im Laufe der Zeit immer weniger Weinjournalisten, Kritiker und Sommeliers, als immer mehr arrivierte heimische Winzer damit begannen, Tonamphoren oder riesige Holzfässer in ihren Gärten zu vergraben, und sich von industriell gesteuertem Weinbau zu verabschieden. Auf den Weinkarten der Spitzengastronomie tauchte neben der heiligen Dreifaltigkeit in Form von Rot, Weiß und Rosé plötzlich die Farbe Orange auf. Der minimal invasiv gekelterte Wein war plötzlich salonfähig. Die Eso-Spinner kamen jetzt auch aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Frankreich. Der perfekte Zeitpunkt, um einen veritablen Glaubenskrieg in der Weinwelt zu entfachen, war gekommen. Hauptstreitfrage: Ist das Kunst, oder kann (man) das weg(schütten)?
Standpunkt versus Anstand
Geht es nach Robert Parker Jr., lautet die Antwort ganz eindeutig: Weg damit! Der selbsternannte Hohepriester der Weinbewertung ließ vor kurzem in einem Interview nicht den geringsten Zweifel über seiner Abneigung gegenüber der Naturweinbewegung und jenen Sommeliers, die deren Erzeugnisse promoten, aufkommen. Wortreich echauffierte Parker sich über oxidiertes, abgestandenes Gebräu, das farblich an rostroten Eistee erinnere und sensorische Ähnlichkeit mit Fäkalien aufweise. „Und“, so Parker weiter, „da gibt es dann ja auch noch diese Hipster-Sommeliers, die diese schrägen, untrinkbaren und in jeder Hinsicht fehlerhaften Weine auch noch empfehlen!“
Auch Justin Leone, Head Sommelier des legendären Sternerestaurants Tantris in München, lässt kein gutes Haar am Trend zum naturbelassenen Rebensaft. „Die Wahrheit ist doch: die meisten dieser Weine sind ungenießbar, voller Bakterien, geschmacklich homogen“, sagt Leone und zieht den Vergleich zur Medizin. „Mit anständigem Weinmachen hat das nichts zu tun. Es gibt ja auch kein „Naturspital“, wo man auf sterile Instrumente und Keimfreiheit verzichtet, oder? Warum also gibt es dann „Natural Wine“?
Die Befürworter der Orange- und Natural Wine-Bewegung sagen: Weil die Zeit reif ist und der geschmacklichen Austauschbarkeit moderner Weine Einhalt geboten werden muss. Weil die Technik im Weinberg und im Weinkeller Überhand genommen hat, und Wein seit jeher ein Naturprodukt ist. Weil mit antiken Methoden hergestellte, ungeschwefelte, unfiltrierte Weine bekömmlicher, prägnanter, dichter, aromatischer und komplexer sind als konventionell ausgebaute.
Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?
Beide Seiten sind um Argumente für und wider nicht verlegen, und sie alle haben ihre Berechtigung. Was die Sache nicht einfacher macht. An der Frage nach der Existenzberechtigung von Orange Wines scheiden sich die Geister heute, da diese Weißweine sich auf den Weinkarten renommierter Restaurants etabliert haben, mehr denn je. Der Zank beginnt bereits bei einer handfesten Begriffsdefinition, beziehungsweise der Abgrenzung der BegriffeOrange-, Amphoren und Natural Wines. Denn Orange Wines sind nicht automatisch biodynamisch produzierte Weine, und auch die Gärung in Amphoren oder der gänzliche Verzicht auf Schwefel sind keine Grundvoraussetzungen, um einen Wein als Orange Wein zu bezeichnen. Heimische Orange-Wine-Pioniere wie der Steirer Sepp Muster sprechen generell von Weißweinen von intensiver Farbe, deren wesentlichstes Merkmal jene Form der Vergärung darstellt, die eigentlich bei der Rotweinproduktion angewandt wird. Einfacher ausgedrückt: Orange Wine ist Weißwein, der wie Rotwein produziert wird.
Egon-Julius Berger, Organisator des Wiener „Orange Wine Festivals“ und Inhaber von „Orange & Natural Wines“, liefert eine etwas tiefer gehende Definition. „Grundsätzlich spricht man nach 48 Stunden Maischekontakt von einem Orange Wine“, sagt Berger. Die orange-rote Farbe erhalten die Weine durch die aus den Trauben gelösten Farbstoffe der Traubenschalen und den langfristigen Kontakt mit Sauerstoff. „Im Schnitt liegen die Trauben zwei bis drei Wochen auf der Maische, manchmal bis zu einem halben Jahr, das beeinflusst natürlich auch die Farbe.“ Aber um sich Orange Wine nennen zu dürfen, sei etwa eine Amphore nicht zwingend erforderlich, erklärt Berger. „Die meisten Winzer lagern in Fässern und nicht in Amphoren. Bei der Fassgärung wird nach dreiwöchigem Maischestand behutsam abgepresst, dann kommt der Wein noch einmal in das Fass und lagert dort im Schnitt drei Jahre. Amphorenwein lagert ein halbes Jahr in der Amphore und kommt dann zur Reife wieder in die Amphore, das Geschmacksprofil und auch die Farbe sind dementsprechend unterschiedlich.“ Amphorenwein ist Amphorenwein, sagt Berger, und Orange Wine ist Orange Wine – basta. „Aber ich plädiere sowieso eher für den Überbegriff Natural Wine.“
Was nämlich all diesen Weinen unbestritten gemeinsam ist: Der Winzer spielt eine untergeordnete Rolle, der Mensch greift so wenig wie möglich in den Produktionsprozess – und in die Natur – ein. Das Vorgehen moderner Naturwein-Winzer ließe sich in etwa so zusammenfassen: keine Chemie im Weinberg, Handlese, schonende Behandlung von Trauben und Most, weitgehender Schwefelverzicht, keine Filtration, unkonventionelle Gärbehälter. Wenn man so will, dann ist Orange Wine-Produktion also die Zelebration des Weglassens. Ob einem das nun gefällt oder nicht, ist eine objektiv schwer festzumachende Frage. Vielmehr eine philosophische und eine geschmackliche. Dass Orange Wines kein Produkt des geschmacklichen Mainstreams sind – und es aufgrund ihres krautig-mostigen, erdigen Geschmacks und ihres verhältnismäßig hohen Preises wohl auch nie werden – ist unbestritten.
„Diese Weine sind ein Nischenprodukt, obwohl der Absatz sich gerade in der Spitzengastronomie in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt hat“, sagt Berger, der sich auf den Import von Orange und Natural Wines aus Slowenien, Kroatien und Italien spezialisiert hat. Die Kerngebiete der Orange Wine Produktion liegen heute in Frankreich, Slowenien, dem Friaul und Istrien, aus diesen Regionen stammen auch die besten Qualitäten. Verarbeitet werden vorwiegend autochthone Rebsorten wie Sauvignon, Ribolla Gialla oder Malvasia, Roussanne, Rolle und Grenache Blanc. „Die besten Qualitäten stammen nach wie vor ganz klar aus dem Collio, aber einige heimische Spitzenbiodynamiker wie Fredi Ploder-Rosenberg, Sepp Muster, Bernhard Ott oder Ewald Tscheppe können mittlerweile in puncto Qualität mithalten – obwohl sie 15 Jahre weniger Erfahrung haben als ihre Kollegen aus dem Süden.“
Spontanes Risiko
Die Kollegen aus dem Süden, die Berger anspricht, heißen etwa Aleks Klinec, Valter Mlecnik oder Stanko Radikon und legen in puncto Ausbau einen besonders mutigen Drahtseilakt hin, an den sich heimische Winzer selten wagen und der für besonders viel Diskussionsstoff unter Weinaficionados sorgt: Sie verzichten nämlich gänzlich auf das Schwefeln ihrer Weine. Das galt vor Kurzem noch als undenkbar, denn das Risiko, fehlerhafte Weine zu erhalten, ist groß. Auch die bei der Orange-Wine-Produktion gepflegte Spontanvergärung – also alkoholische Gärung durch natürlich im Weinberg und im Keller vorkommende Hefearten ohne speziell gezüchteten Weinhefen – wird von Winzern und Weinkritikern als besonders authentische Methode hochgejubelt, von Önologen und Wissenschaftlern jedoch stark kritisiert. Wahr ist: die Bakterien- und Mikroben-Diversität in spontan vergorenen Weinen ist so groß, dass sich auch unerwünschte Gärungsprozessteilnehmer breit machen. Ist das Traubenmaterial nicht penibelst ausgesiebt oder werden die für eine gelungen Spontanvergärung notwenigen hygienischen Bedingungen nicht eingehalten, zeigt der Wein grausame Fehlgerüche nach fauligen Eiern, Zwiebeln, Essig oder gar Lösungsmittel. Dass es sich dabei um ein verzichtbares Aromagefüge handelt, liegt auf der Hand. „Aber das Risiko, heute noch einen wirklich fehlerhaften Orange Wine ins Glas zu bekommen, ist sehr viel geringer als das in den Anfängen noch der Fall war“, sagt Egon-Julius Berger. „Die Winzer haben experimentiert, und sie haben dazugelernt. Die Zeiten der großen Extreme sind weitestgehend vorüber.“
Eine, die das Ende der hart an der geschmacklichen Erträglichkeitsgrenze angesiedelten Orange Wines begrüßt und die Außergewöhnlichkeit des Produktes dennoch sehr schätzt, ist Ingrid Bachler. Die österreichische Spitzensommelière aus dem Restaurant Bachler in Althofen nimmt weit weniger Anstoß am biodynamisch Vergorenem als viele ihrer Kollegen, schätzt Orange Wines aufgrund der gut eingebundenen Säure als ideale Speisenbegleiter. Den Argumenten arrivierter Winzer, die Orange Wines als smarten Marketing-Gag einer kleinen Gruppe von Öko-Spinnern verteufeln, kann sie wenig abgewinnen. Vielmehr, sagt Bachler, bringt die Biodynamik-Bewegung frischen Wind in eine Szene, die sich seit Jahren weniger durch Mut und Innovationskraft als durch Uniformität im Ausbau hervortut. „Im Segment bis zehn Euro pro Flasche sind heute so gut wie alle Weine austauschbar“, sagt Bachler, „und das stört mich eigentlich am meisten am konventionellen Weinbau.“ Durch die im klassischen Weinbau eingesetzten Hefen würden Weine zu künstlichen Aromenbomben, die ursprüngliche Charakteristik gehe völlig verloren. „Naturweine sind viel individueller, charakterstärker. Und diese Diskussion darüber, dass Rebsorte und Herkunft nicht erkennbar sind, ist einfach unnötig – man muss als Sommelier einfach gut über diese Weine und ihre Eigenheiten Bescheid wissen.“
Bachlers Orange-Wine-Sortiment besteht allerdings ausschließlich aus Weinen, die mindestens fünf Jahre gereift und nicht zu stark oxidiert sind, „denn dann sind sie als Speisenbegleiter nur mehr bedingt geeignet.“ Natur also ja, aber bitte mit Struktur.
Gezähmte Freaks of Nature
Wo also ist im Orange-Wine-Universum die Grenze zu ziehen zwischen Mut und Wahnsinn, zwischen Ursprünglichkeit und Unbekömmlichkeit, Marketing-Hype und echter Nische? Den österreichischen Vertretern der Orange-Wine-Bewegung, wie der südsteirischen Winzervereinigung „Schmecke das Leben“, geht es in erster Linie darum, neue Perspektiven für Weingenuss zu eröffnen. Und das bedeutet vorallem: Weg von dogmatischen Haltungen. Sepp Muster etwa setzte bei seinen ersten Orange-Wine-Versuchen 2005 noch auf die Vergärung in Tonamphoren, auf Schwefel verzichtete er gänzlich. Das Ergebnis waren radikale Weine, Muster erkannte bald die Grenzen des Ausbaus. Heute bevorzugt Muster Holzgebinde, die seiner Meinung nach das Terroir ebenso deutlich zum Vorschein bringen und das Risiko von Vinifkations-Katastrophen verringern. Musters Weine vergären spontan und kommen ungefiltert in die Flasche, sind allerdings minimal geschwefelt.
Den dezenten Einsatz von Schwefel halten mittlerweile auch die glühendsten Verfechter der antiautoritären Weine für sinnvoll. „Die Bekömmlichkeit der Weine ist immer noch gegeben, und wenn man bedenkt, dass bei Weißwein die maximale Schwefelmenge bei 200 mg/l liegt, bei Orange Wine im Gegensatz dazu gerade einmal 30 bis 40 mg/l enthalten sind, ist das doch lächerlich“, meint auch Egon-Julius Berger. Und Sommelière Ingrid Bachler bevorzugt leicht geschwefelte Weine, „weil sie einfach mehr Struktur haben und um den Tick feiner und zugänglicher sind.“
Dass es nach wie vor große Qualitätsunterschiede bei den maischevergorenen Weißweinen gibt, leugnen weder Bachler noch Berger. Und auch bei der Frage, ob Orange Wines zukünftig vielleicht doch als Massenprodukt taugen, sind sich die beiden einig. Die Antwort lautet: nein. Vielleicht ist gerade das der wesentlichste Grund, warum Orange Wines ihren Platz in der Topgastronomie verdienen.